Reproduktion (Anthes 1895–1899)
Das Beerfurter Schlösschen
Anthes, E. (Reproduktion, editiert von Stefan Steiger)(
Zitierempfehlung:
Anthes, E. Das Beerfurter Schlösschen (Reproduktion, editiert von Stefan Steiger). Beerfurther Schlösschen [online]. ISSN 2703-1292. [Zugriff am: JJJJ-MM-TT]. Verfügbar unter: https://beerfurther-schloesschen.de/anthes_1895-1899.html. CC BY 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)
Mancherlei Umstände verhinderten mich bis jetzt an der Veröffentlichung eines eingehenden Berichtes über die Ausgrabungen, die ich im Herbst 1887 auf dem Beerfurter Schlösschen im Auftrag des Vereins unternommen habe. Da das Ergebnis immerhin nicht unwichtig erscheint, hole ich in den folgenden Zeilen das Versäumte nach. Es wird sich dabei nicht vermeiden lassen, ab und zu auf den Ausgrabungsbericht über den Schnellert hinzuweisen, den ich in den Quartalblättern (1887, Nr. 1 S. 10–18)( veröffentlicht habe. Diese beiden Ruinen des Gersprenzthales werden so oft in einem Atem genannt, dass sie auch hier zusammen behandelt werden müssen. Es war dem Historischen Verein vorbehalten, zunächst den nichtrömischen Ursprung des sagenberühmten Schnellert nachzuweisen. Das Beerfurter Schlösschen selbst, dessen Untersuchung ich dann 1887 in Angriff nahm und vollendete, liegt in der Gemarkung Kirch-Beerfurt; es krönt den Gipfel einer steilen Anhöhe, zu der man auf schlechtem, ausgefahrenem Feldweg, dem Burgweg, vom Dorf aus in östlicher Richtung hinansteigt. Da, wo der Weg unweit von dem Schlösschen in den Wald eintritt, bemerkt man die tiefen Spuren von drei alten verlassenen Wegen, die nebeneinander die Höhe hinaufziehen. Der ganze Wald heisst Schlosswald, und eine angrenzende Feldgewann nennt sich Am Schlosswald. Schon bevor man in den Wald eintritt, da, wo ein kleiner Forstgarten liegt, hat man rückwärts in das Gersprenzthal einen überaus schönen Blick; zu Füssen im Thal übersieht man die Gehöfte der beiden Beerfurt, die Häuser von Bockenrod und Frohnhofen; darüber erhebt sich malerisch der Reichenberg, der Hintergrund ist durch den Schenkeberg bei Lindenfels und die Neunkircher Höhe abgeschlossen.
Die Höhe, auf der die Befestigung angelegt ist, wird nach Südosten vom Morsberg, einer der höchsten Erhebungen des Odenwalds, überragt; sie läuft in sanfter Neigung von jenem Berg aus und ist ungefähr eine halbe Stunde vom Fuss des Morsbergs entfernt. Nach Westen und besonders nach Norden fällt der Berg ausserordentlich steil ab, bis zu einer Tiefe von 50–60 m. Das ganze Gebiet ist jetzt mit schönem lichtem Buchenwald bestanden. Da, wo die Anlage sich südlich an den Morsberg anlehnt, ragt, kaum 80 Schritte von dem Burggraben, eine Gruppe mächtiger Syenitfelsen auf, wie überhaupt dies Gestein hier überall in grossen Massen zu Tag tritt, – ein Umstand, der uns bei der Untersuchung oft genug hinderlich wurde.
Hier oben lag also die Burg, deren spärliche Reste längst eine Aufgrabung erfordert hätten. Der Zustand der Ruine, wie ich ihn vorfand, war sehr betrübend; von der ganzen Anlage hatten sich über der Erde nur die Ueberreste der Zwingermauer erhalten, und diese nur in einer Länge von 6 und in einer Höhe von 2,5 m. Umfangreiche Aufschüttungen, besonders auf dem Gipfel des Berges, aber auch jenseits des Grabens, liessen weitere Gebäude- und Mauerreste vermuten.
Aus dem Mittelalter ist uns keine Erwähnung des Schlosses bekannt. Für die Beantwortung der Fragen nach dem Ursprung und den Erbauern habe ich nirgends einen Anhalt gefunden. Die einzige Urkunde, die man bisher auf das Beerfurter Schlösschen beziehen zu dürfen glaubte, ein Vergleich zwischen Erbach und Wertheim von 1551 (Simon, Gesch. der Dyn. u. Grafen von Erbach S. 126)( gehört nicht hierher; nur durch einen schier unbegreiflichen Irrtum konnte sie auf diesen festen Platz bezogen werden. Die Stelle des Vergleichs lautet nämlich: „Vber das sollenn die grauen zu Erpach der Breuburgischen Herrschaft Vonn dem Streittigen Platz Oben von dem Steinenn Hauß, biß an die Mombling heraber den halben theill zustellen, deßgleichen vf der andern seittenn der Mombling“ u. s. w. Die Erwähnung der Mümling beweist, dass das genannte „Steinerne Haus“ eben nur im Mümling-, nicht aber im Gersprenzthal gesucht werden darf. Welche Anlage darunter verstanden sein mochte, ist für die Zwecke dieser Zeilen gleichgiltig. Damit fällt auch eine Vermutung, die Dr. Freiherr Schenk zu Schweinsberg vor Jahren (Quartalblätter 1876 Nr. 3 u. 4 S. 6)( ausgesprochen hat, dass vielleicht der Schnellert mit dem Namen „Steinernes Haus“ bezeichnet worden sei.
In keiner der Urkunden (sie reichen bez. Beerfurts von 1307–1443), die Simon seinem Werk beigegeben hat, wird ein Ort erwähnt, der auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das Schlösschen bezogen werden könnte. Beerfurt wird wiederholt genannt (Nr. 11, 22, 27, 28, 63 u. 247)(, des Schlösschens geschieht in keiner der Urkunden Erwähnung. Soviel ist sicher, dass es 1740 als „uraltes Herrschaftliches Schloss“( bezeichnet wird. Diese und andere Nachrichten finden wir in den Verhandlungen der Erbachischen und Wertheimischen Beamten aus den Jahren 1740–41 und 1748(. Es lohnt sich, auf diese Berichte etwas näher einzugehen, da man aus ihnen erkennt, dass zu Mitte vorigen Jahrhunderts noch ansehnliche Teile der Burg vorhanden waren, wenngleich beigefügt werden muss. dass diese Schriftstücke höchst verworren abgefasst und ein klares Bild durchaus nicht zu geben imstande sind. Gleich die erste Anzeige des Centschultheissen Heiss von Reicheisheim vom 17.12.1740( mag als klassisches Beispiel hier in ihren wichtigsten Teilen wörtlich angeführt werden.
Er berichtet, die Beerfurter seien mit ihrem Schulmeister auf das „alte Herrschaftliche Schloss“ gekommen, um dort zum Bau eines neuen Schulhauses Steine auszubrechen. „So haben sie Zum aller Ersten auf der einen Seitten an der Burg eingegraben, und alda an ein außgewelmtes Loch gekommen, so durch die Mauer in daß Haus gehet. Von diesem sein sie abgewichen und hinauß auf die alte Burg, und alda in der Mitte ein geschlagen, alwo sie bis 15 schu nunter gekraben, da sein sie an Ein steinern dirgestel (Thürgestell !) komen. und die dir ist 7 schu hoch und 3 schu 3 Zohl breid, Von dieser dür geht ein gewelmter und gepflasterter gang ganz Hindurch, aber wie Weid der gang fortgeht, Weis ich nicht, die Weillen sie in mit steinen Haben zu geworfen und sie graben vor dieser dür Weitter Zwischen den mauern nunter, al Wo sie gar fülle qatter stein (viele Quadersteine) Herraus gedan haben, und die mauern sein von qatter stein um und dum, ich meines deil Halte dar Vor, daß unten nunter Gewelmer stehn“ u. s. w. Der Schulmeister gebe auch an, wo der Gang sich endige, da seien „lauter Gewelmer mit eisern dier.“ Mittlerweile war das Gerücht von den Gräbereien auch nach Schönberg gedrungen; Regierungsrat v. Pistorius schreibt an Amtmann Willich in Reicheisheim, man habe Anzeige erhalten, „daß in denen ruderibus gegraben werde und daß man an eine verschlossene steinerne Thür gekommen sei.“ Man sieht, Frau Fama hatte sich alsbald der Sache bemächtigt! Zu gleicher Zeit wurde der Jäger von Beerfürt vernommen, dei der Ansicht ist. man wolle allda einen verborgenen Schätz heben. Unterm 28. Dezember ergehl lmmnelir von Wittich der Befehl an die Beerfurter, sofort mit Graben und Holz-fällen aufzuhören. Den Tag darauf fragt derselbe bei seinem Breubergischen Kollegen Niedermeyer an. ob man nicht das (Kraben „von gemeinschattl. Amtswegen" fortsetzen solle; Vielleicht ,, möchte, wenn auch nicht ein grosser Schatz, so doch wenigstens ein und andre Curiosa antiqua aus diesen alten ruderibus zu eruiren seyn.'" Trotz des ergangenenVerbots graben die Beerfurter ruhig weiter; bei vorgenommenem Augenschein durch den Reichelsheimer Centschultheissen stellte sich heraus, dass schon ein "grausames Holtz" niedergehauen worden war. Während sich nun die Erbacher Herrschaft bemühte, aus Gründen, die nachher zu erwähnen sind, sowohl den Steinbrechern als auch den Holzfällern Einhalt zu thun, stellte sich das Condominat, die Löwensteiner Herrschaft, auf einen ganz anderen Standpunkt. Der Breuberger Amtmann schreibt nämlich im Auftrag seines Herrn, „weilen die Kirchbeerfurter so heilsame gedancken, ein Schulhauß zu bauen, begeten," so solle ..man ihnen nicht nur die steine zu gedachtem Ende lassen, sondern auch das in loco quaest. stehende Holtz zu ihrem nöhtigen brand verabfolgen lassen." Wittich berichtete darüber an die Erbachische Kanzlei und bemerkte, dass die Beerfurter „schon viel mehr Steine herausgeschafft, als zu ihrem angeblich zu erbauenden Schulhauß vonnötheii." Zweitens dürfe deshalb ihnen das Holzfällen nicht gestattet werden, weil die alte Burg mit ihrem Bezirk kein Gemeinde-, sondern herrschaftlicher Besitz sei: zudem hätten sie selbst einen schönen grossen Gemeindewald. Wohl aus dem letzteren Grunde ward von den Erbacher Behörden das Verbot erneuert und der angedrohte Strafansatz verschärft. Zugleich wurde ein neuer Augenschein angeordnet: dabei sollte unter Zuziehung einiger alten ortserfahrenen Leute besonders darauf geachtet werden, ob der Burgwald, überhaupt das ganze Gebiet der Burg, gehörig abgesteint sei. Der Bericht meldet, man habe die Burg ..allenthalben umgangen, aber von limitibus und derselben etwaigen Absteinigung nicht die geringste Spuhr einiger Schied -Steine finden können;" Niemand habe ausserdem von einer solchen Begrenzung jemals etwas gehört. Soviel könne man indes noch sehen, dass „sothanes gebäude drey Mauern ^^d Kwey graben umb sich gehabt haben muß".
Nun verlautet 7 .Jahre lang nichts mehr von der Angelegenheit. Während dessen scheint die Verwertung der Ruine als Steinbruch ungehindert vor sich gegangen -/Ji sein. Denn am 21. 6. 1748 ergeht nach Reichelsheim die Anzeige(, dass die Gemeinde Kirch-Beerfurt die gegrabenen Steine nach Fränkisch-Crumbaeh den AVagen zu 30 kr. verkaufe; man sehätze die Menge der Steine auf 30 bis 40 Waffen voll. Auf Vorhalt gaben die Beerfurter wiederum ihren Schulhausbau als Grund für das Steinbrechen an; es sei ihnen übrigens mündlich erlaubt worden. Auch die Erbachischen Beamten haben also, wie es scheint, nach 1741 den Einwohnern von Beerfurt keinen Widerstand mehr entgegengesetzt. 174S verbot der Amtmann nur den Verkauf der Steine: er rechtfertigt diese Massregel mit der Bemerkung. die Erlaubnis" zum Verkauf habe deshalb einen Anstand gehabt, weil man diese Steine zum Brunnen am Reichenberg nötig zu haben glaubte. Dieser Brunnen ist wohi\ der sog. Ratzenbruimen am Nordostfuss des Reichenbergs, nicht der Brunnen im Schiedshof. Er wurde wiederholt neu gefasst. noch in diesem Jahrhundert. Jetzt liegt er auf dem Grund und Boden eines Pfaffcn-Beerfurters. Die Abgeordneten i\c\- Beerfurter erklärten indessen, sie wollten noch so viel Steine herausschaffen^ als man zum Brunnen bedürfe. „Nunmehr wird der Verkauff dieser Steine erlaubet, um diesseits dem angefangenen Bauwesen des Schulhaußes nicht hinderlich zu seyn". Alle früher erhobenen Bedenken waren demnach von der Erbachischen Herrschaft aufgegeben worden, und man förderte nun sogar die fortschreitende Zerstörung dadurch dass man auf herrschaftlichem Gebiet mit den ausgebrochenen Steinen einen Brunnen herstellte.
Die Zerstörungsgeschichte des Schlösschens ist so bezeichnend, dass ich sie ziemlich ausführlich hier wiedergegeben habe: wie vielen anderen Anlagen mag es ähnlich g igangen sein! In den meisten Fällen ist es eben nicht die alles gleichmachende Zeit, sondern die pietätlose H;ind * Menschen, die den Untergang der Denkmäler aus der Vorzeit beschleunigt.
Knapp erwähnt in seinen Altertümern t\rs Odenwalds (\cy Vollständigkeit halber die Ruine auch: es ist ihm aber nicht in den Sinn gekommen, sie für römisch zu halten, trotz des „unverkennbar römischen Wurfspießes", der unter (U-y Thoreinfahrl gefunden wurde. Bemerkenswert is1 dabei nur. dass man die Stelle des Thors noch erkennen konnte, als Knapp die Höhe besuchte; also bestand zu Anfang unseres Jahrhunderts noch eiu wichtiger Teil der Anlage, den wir heute vergebens suchen; alles Mauerwerk des ehemaligen Thorbaues ist bis auf den Grund vom Erdboden verschwunden.
Dieser praktischen Ausbeutung der Ruine verdanken wir es, dass es vor den Ausgrabungen schlechterdings unmöglich war, sich auch nur eine einigermassen klare Vorstellung vom dereinstigen Aussehen des Burgbaues zu machen, und dass wir selbst jetzt nur in der Lage sind, ganz allgemein über die alte Anlage zu urteilen. Man hat an den meisten Stellen die Mauern bis auf das Fundament ausgehoben, und nicht bloss das alte Schulhaus, sondern noch eine ganze Reihe von anderen Gebäuden wurde aus den schönen Quadern erbaut, mit denen dem Anschein nach alle Hauptmauern verkleidet waren: man kann sie heute noch wohl von den andern Bauernhäusern unterscheiden.
Wenn sich auch die Volkssage nur in geringem Grad mit dem Beerfurter Schlösschen beschäftigt — , einige Sagen knüpfen sich doch daran, aber keine, die nicht auch anderwärts zu finden wären. Alte Leute fabeln von Gewölben und Kellern, in die sie wohl selbst Steine hinabgeworfen haben wollen: oder wie auf dem Schnellert soll in mächtig tiefen Gewölben uralter Wein in seiner eigenen Haut des glücklichen Entdeckers harren; der Zugang dazu aber wer« le durch eine grosse Steinplatte gebildet, die selbst viele starke Männer nicht hätten vom Platz bringen können. Dass man auch wohl vergrabene Schätze unter den Trümmern vermutete, ist schon bemerkt worden, und so wird es uns auch nicht wundern, wenn ein grosser Jäger mit langem Bart zur Zeit der Dämmerung das Schloss umkreist und verspätete Holzhauer oder Reisigsammler durch seine plötzliche Erscheinung erschreckt.
Der Gipfel des steilen Berges bot äusserst wenig Gelegenheit für die Anlage von ausgedehnten Wohngebäuden. Ja sogar der Raum für den Zwinger war, wie ich überzeugt bin. nur durch umfangreiche Aufschüttungen an den steil abfallenden Seiten des Bergs zu gewinnen. Die Zwingermauer hatte also einem doppelten Zweck zu genügen: sie musste als Stütze für das aufgefüllte Erdreich und zugleich als Befestigung dienen. Wenn wir heute selbst vom Zwinger nur sehr geringe Reste zu erkennen vermögen, so hat das seinen Grund darin, dass die Zwingermauern von aussen abgebrochen wurden: dass gerade dieser Teil der Anlage von den Beerfurtern verwertet wurde, erzählte mir der alte 78jährige Ortsdiener, der selbst an seiner Hofraite manchen schönen Quaderstein verwendet hat. Hatten nach dem Abbrechen der Stützmauer die aufgeschütteten Erd- und Geröllmassen ihren Halt verloren, so bedurfte es nur eines kurzen Einflusses von Regen und Frost, um sie ins Rutschen zu bringen; so ist in der That, wie mir scheint, der grösste Teil des Zwingers den steilen Bergabhang hinabgeglitten und umgibt jetzt als wüster Schutthaufen den eigentlichen Kern des Bergs.
Sehen wir von der Höhe des Bergs ab. die von einem kreisförmigeB hohen Schuttkegel eingenommen ist. so bleibt ein grösserer Raum für Gebäude nur auf der Angriffsseite nach Südosten, wo dem erwähnten Schuttkegel eine Art von Hof. eine Erweiterung des Zwingers vorgelagert ist, ähnlich \vie_ auf der entsprechenden Seite des Schnellerts. Dass dieser Teil der Burg in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zwinger gestanden hat, geht aus dem Umstand hervor, dass die Höhe dieser Fläche genau der Höhe des Zwingerteils entspricht, der da erhalten ist, wo sich die beiden in stumpfem Winkel aneinander stossenden Mauer- stücke und hinter ihnen die Aufschüttungen in annähernd ursprünglichem Zustand noch erhalten haben. Wir dürfen also annehmen, dass sowohl dieser Hof als auch die obere Kante der erwähnten Mauer auf der Westseite so ziemlich die Fläche des Zwingers darstellen. Alle dazwischenliegenden zum Zwinger gehörigen Mauerteile scheinen jetzt versehwunden; indessen ist es uns gelungen, auf der Südseite in gerader Richtung, in Verlängerung des einen erhaltenen Mauerrestes, den Lauf der alten Zwingermauer 21 m weit, und zwar bis zu dein Hof festzustellen, meist allerdings nur noch im Fundament. Etwas anders lag die Sache auf der Steilseite des Berges, nach Norden und Nordwesten. Gerade hier musste die Mauer ganz besonders sorgfältig hergestellt sein; sie bedurfte bedeutender Stärke, um der bedeutenden Last, deren Druck sie auszuhalten hatte, widerstehen zu können: So ist in der That auf dieser Seite die Mauer, wo sie aufgefunden wurde, mit grösster Sorgfalt gefügt. Indessen scheint sie auf dieser Seite nicht völlig bis an den Hof herangereicht zu haben. Die tiefen und schwer anzubringenden Einschläge ergaben an 5 Stellen Reste der Mauer. ;ui der am weitesten nach Osten gelee'enen eine mit besonderer Sorgfalt aufgeführte Mauerecke, die sich im Norden, von Geröll überdeckt, in der Höhe von Im erhalten hatte. Lh'e Mauer, sich nach oben dem Gipfel des Berges etwas zuneigend, ruht auf einem doppelten, ziemlich wenig vorspringenden Sockel aus starken Sandsteinquadern. Weiter nach Osten fand sich keine Spur von Mauerwerk. Sollte hier die Steilheit des Berges genügt haben, um einen Angriff abzuwehren? Wahrscheinlich ist es nicht, allein es hat sich für das Vorhandensein einer Fortsettsime auch nicht der geringste Anhalt ergeben; nicht ein Stückchen Mörtel ist zum Vorschein gekommen, und der natürliche Fels wurde nur wenig unter der jetzigen Oberfläche des Bodens angetroffen.
Die durchschnittliche Entfernung der Zwingermauer von dem Hauptgebäude betrug ungefähr 10 m; doch rückte sie auch näher an den Turm, wenn die Oertlichkeit es verlangte, und auf der Südseite erweiterte sich der Zwinger zu einem 20 m breiten und 35 m langen Hof, an den sich dann wieder unmittelbar der Graben anschliesst. Dieser Teil der Burg entspricht ziemlich genau der Ostseite des Schnellerts: hier wie dort liegt aui der Angriffsseite eine hofartige Erweiterung des Zwingers, beidemal an dieser Stelle aus dem einfachen Grund angelegt, weil hier am meisten Raum vorhanden war.
Die Stärke der Mauern beträgt da. wo sie noch zutag anstehen, fast 2 m. Bemerkt sei noch, dass die Werkstücke durch ausserordentlich festen Mörtel miteinander verbunden sind.
Den Gipfel des Berges krönte der Hauptbau, ein Gebäude, das dem Anschein nach sowohl zu Befestigimgs- wie zu Wohnzwecken gedient hat. Waren an der Zwingermauer fast allenthalben die schön zugerichteten Sandsteine|uadem entfernt, so sind wir so glücklich- gewesen, wenigstens an dieser . Stelle der Burg noch den wohlgefügteii QuaderJbau in seiner ursprünglichen Gestalt zu linden. Mächtige, fest aneinander gereihte Sandsteinquadern von durchschnittlich 22 cm Höhe bei einer Breite von 35—65 cm bilden die Verschalung der über 2 m starken Mauer. Auch hier hat man den Versuch gemacht, alles einzureissen; an der Nordwestecke ist es auch geglückt, weniger aber an der Südwestecke, der einzigen, die wenigstens leidlich erhalten ist. Wie oft auch hier Pickel und Hacke angesetzt wurden, um die mächtigen Ecksteine herauszuheben, beweist deren Zustand: die vordere Kante ist abgesprungen, aber doch hat das Mauerwerk erfolgreichen Widerstand geleistet. Bevor die Arbeiter auf die Mauer stiessen, hatten sie eine Geröllschicht wegzuräumen, die in der Höhe von l 1/« m die Mauerreste überdeckte.
Das Gebäude selbst hatte 14 m im Geviert; auf allen Seiten wurden die Mauern in einer Stärke von fast 2 m festgestellt; dies Ergebnis stimmt zwar nicht mit der Angabe des Hauptkatalogs der Erbacher Sammlung, der berichtet, der Turm habe einen Durchmesser von 24 Schuh gehabt, ist jedoch nicht anzuzweifeln. Im Innern wurde ein tiefer Einschnitt gemacht: in der Tiefe von 2 m kamen die Arbeiter ajif eine 25 ein starke Schicht von Lehm, der mit kleinen Kohlenstückchen reich durchsetzt war. der Ueberresi der aus Lehm und Holzsparren hergestellten Teile des Gebäudes, die bei einem Brand, wie es scheint, in das Innere gestürzt sind. Dass wir liier den alten HFussboderi erreicht hatten, geht auch daraus hervor, dass die gelingen Eisenteilc. die zutage kamen. Ueberreste von Nageln und Klammem, sämtlich hier gefunden wurden. Fast 2 m tief ist der ganze Innenrauin mit ausserordentlich grossen Mauersteinen ausgefüllt: beim Abreissen der Mauern hat man hier nur die schön behauenen Quadern mitgenommen und das Uebrige liegen lassen. Der Grund, weshalb die Sandsteinquadern in Beerfurt so sein- begehrt waren, liegt darin, dass die Gemarkung noch durchaus auf Gneisboden liegt. Erst 1/2 Stunde vom Schlösschen nach Südost, am Euss des Morsbergs, überschreitet man die Sandsteingrenze. Alle Sandsteine demnach, die oben verwendet worden sind. mussten von ; auswärts herbeigeholt werden: man seheint sieh dabei hauptsächlich an die Findlingshlücke gehalten zu haben. von denen zwischen der Spreng und Böllstem eine Meng. in den Wäldern zerstreut herumliegt: man erkennt diesen Stein an seiner eigentümlich grobkörnigen blasigen Beschaffenheit. Doch kamen auch eigentliche Bruchsteine zur Verwendung; namentlich bei den Quadern des Mittelbaues, dessen Steine ziemlich feinkörnig sind. Immerhin mag man daraus abnehmen, dass das Beerfürter Schlösschen nicht etwa in Zeiten der Not. vor dem Feind über Nacht entstanden ist: im Gegenteil weist die überaus sorgfältige Bearbeitung der Quadern auf eine längere ungestörte Bauzeit hin.
Im Innern konnte nicht vollständig ausgeräumt werden. da es bei der Mühseligkeit der Arbeit zu viel Zeit gekostet hätte: doch wurde soviel festgestellt, dass wir im Innern keine Mauerzüge mehr zu suchen haben, dass also die gefundenen 14 m im Geviert haltenden Mauern nicht etwa als Umfassung eines engen Hofraums, sondern als die Wände eines einzigen beträchtlichen Turmbaus zu betraohteri sind. Es steht nichts im Weg. dass wir uns diesen Turm in seiner einstigen Gestalt als Wohnturm vorstellen. Uebrigens kam kein einziger irgendwie verzierter Stein zum Vorschein; auch nicht ein Steinmetzzeichen wurde gefunden, das für die Zeitbestimmung irgend einen Anhalt geben könntet Nur ein einziges grobes Backsteinstück und ganz wenige Gefässscherben wurden dem Schutt entnommen: von den Kunden ist nur ein hübscher eiserner Schlüssel bemerkenswert, A^\- m der Tiefe des Einschnittes im Turm gefunden wurde. Habe ich bei den Arbeiten auf der Spitze des Hügels die Erfahrung machen müssen, dass die eigentliche Burg sehr zerstört ist. so fand ich. dass dies in noch viel höherem Grad der Fall ist bei den anderen Teilen der Anlage. Nach den Berichten aus den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts können die damals noch vorhandenen Reste unmöglich alle auf dem engen Gipfel des eigentlichen Berges gestanden haben. Wir müssen vielmehr, um die Stelle dieser Gebäude zu suchen, den Graben überschreiten und den Blick auf den Punkt richten, wo der Hals des Berges breiter wird, und wo unverkennbare Spuren einstigen Mauerwerks noch zu bemerken sind.
Zunächst der Graben. Er schliesst sich nach Südosten an den erweiterten Zwinger an. und trotzdem hier die Natur den Erbauern entgegengekommen ist. kann man die nachhelfende Hand des Menschen nicht verkennen. Ganz wenig unter der heutigen Erdoberfläche liegt der harte Gneis in grossen Massen: auf der Sohle des 6 m tiefen Grabens laß- der Fels nur 25—30 cm unter den abgefallenen Blättern. wie mehrfache Versuchsgräben, besonders aber ein noch nachträglich gemachter Einschlag durch die ganze Breite des Grabens ergab. Die Böschung ist auf der Nordseite noch sehr steil: gros'se Felsblöcke treten hier aus dem Boden hervor, wie sie auch in unregelmässigen Zwischenräumen die Ränder des Grabens nach Süden hin bedecken. Der Graben zieht über den ganzen Hals des Berges. Jenseits zeigt sich nochmals eine kleine wallartige Erhöhung von 2.5 bis o m. auf die wieder eine 1 m tiefe Einsendung folgt, worauf später zurückzukommen ist.
Wie waren nun Zwinger und Hof gegen den Graben allgeschlossen? Man sollte annehmen, die schon beschriebene Zwingermauer habe ihre Fortsetzung auch da gefunden, wo keine Aufschüttung nötig und zudem der Graben vorgelagert war. Allein mehrere tiefe Einschnitte, die an dem dem Graben zugekehrten Rand des Zwingers gemacht wurden, ergaben nicht den geringsten Rest von Mauerwerk, ja nicht einmal Abraum oder Speiss waren im Boden erhalten. Ob wir also hier nur an einen Abschluss durch Pfahlwerk zu denken haben, wage ich nicht endgültig zu entscheiden, glaube jedoch, dass angesichts der thatsächlichen Verhältnisse keine andere Annahme übrig bleibt.
Eine zweite wichtige Frage, die sich ebenfalls an den Graben knüpft, verblieb leider ebenfalls ohne Entscheidung, die Frage nach der Einfahrt. Noch zu Knapps Zeiten kannte man ganz wohl die Stelle des Eingangs, und in den erwähnten Akten wird auch eine steinerne zugemauerte Thür genannt^ heute ist davon im Volk alle Ueberlieferung geschwunden, und auch die erhaltenen Reste geben uns keinen Anhalt an die Hand. Der Berg ist nur auf dieser einen Seite für Fuhrwerk zugänglich; selbst wenn man annimmt, dass bis ins Innere der Burg wegen ihres geringen Umfangs schwerlich viele Wagen und Pferde gekommen sind, so muss sie doch irgend einen Zugang von grösseren Ausmessungen besessen haben. In der Zwingermauer fanden sich zudem keine Unterbrechungen, auch konnte trotz sorgfältigen Suchens im Wald keine Spur eines alten Wegs entdeckt werden, der auf einer der Steilseiten des Berges hinführte: die Steilheit der Gehänge verbot eben jede Weganlage' von selbst. Anders ist es auf der Angriffsseite. Wie schon gesagt, führen mehrere alte Srrassenzüge von Kirch-Beerfürt aus in gleicher Richtung wie der Burgweg die Höhe hinan; der eine biegt dem Graben gegenüber um. durchkreuzt den Burgweg und findet seine Fortsetzung in der schon genannten Einsenkung, einige Meter südlich von dem kleinen Wall ausserhalb des Grabens. Ein Durchschlag ergab hier einen ausserordentlich festen Grund, der der Hacke starken Widerstand leistete und zu dem lockeren Waldboden der Umgebung in starkem Gegensatz stand. Er bestand ans kleingeschlagenen Steinen, die, wie es schien, durch Menschenhand eng nebeneinander gestellt waren. Dies ist, wie ich glaube, der alte Zugang zur Burg. Er macht dann abermals eine Biegung im rechten Winkel nach links und stösst auf den Graben, wo er aufhört. Es wäre nun anzunehmen, dass dieser Graben von einer Brücke überschritten worden wäre; aber nirgends hat sich hierfür ein Anhalt geboten; ich gestehe, dass mir die Sache nicht klar geworden ist.
Dass sich jenseits des Grabens noch Gebäude fanden, geht aus verschiedenen Bodenerhebungen hervor, die sich als Trümmerhaufen erwiesen. Sie bestehen aus lauter kleinen Sandsteinen, kaum grösser als eine Faust; es ist dies der unbrauchbare Rest der von den Bauern abgerissenen Mauern. Die rechteckigen Umrisse des einen ehemaligen Gebäudes sind noch sehr wohl zu erkennen; die Masse sind ca. 12 zu 7 m. Gleich daneben, da wo die schmale Landzunge steil nach Norden abstürzt, ist ebenfalls eine Vertiefung, die heute von einem ziemlich kreisrunden wallartigen Aufwurf umgeben ist: auch er besteht aus Sandsteingeröll. Alte Leute behaupten, hier noch Wasser gesehen zu haben, und nennen die Stelle „den Brunnen"; möglich, dass sich bei feuchter Witterung hier ein Tümpel ansammelt, dass ein Brunnen oder auch nur eine Cisterne da war. halte ich für Erfindung, da ein tiefer Einschnitt nichts derartiges ergab.
Was an dieser Vorburg (und eine solche haben wir «»1 nie Zweifel liier zu erkennen'i auffallt, ist ihre Lage am-der Augriffsseite. Das Hauptbollwerk, der Turm, konnte also wohl kaum derart zum Schutz der ganzen übrigen Anlage gedient haben, wie man es voraussetzen möchte. Allein alle Erwägungen müssen hier vor dem Thatbestand zurücktreten. All«' weiteren Vermutungen würden dem unsicheren (-feinet der Konjektur angehören, wir beschränken uns deshalb einfach eint den mitgeteilten Thatbestand
Kaum 50 Schritte südwestlich vom Graben, gleich rechts vom Burgweg. erhebt sich eine Felsgruppe von mächtigen S\•t-uitblöcken: von ihrer Höhe musste man ohne weiteres das ganze Schlösschen bis zum Turm hin bestreichen können. Wo blieb die Deckung dagegen? War die Felsgruppe vielleicht mit in den Hereich der Befestigungen gezogen? Alles das sind Fragen, deren Lösung uns zwar beschäftigen kann. aber leider ausserhalb des Bereiches der Möglichkeit liegt.
Es ist wenig lohnend, besonders für den. der die Ausgralmngen geleitet hat. sagen zu müssen, dass die angestellten rntersuchungen nicht das ergeben haben, was man erhoffen zu dürfen glaubte: betrübender ist es. dass wir nickt mehr in der Lage sind, uns von einem so merkwürdigen und in mancher Beziehung in Anlage und Zweck jetzt rätselhaften Burgbau ein klares Bild herzustellen. Wir müssen uns daran genügen lassen, gethan zu haben, was wir a ermoehten, und das ist auch etwas. Dem ganzen Eindruck nach zu sehliessen, mag die Burganlage etwa dem 13. oder 14. Jahrhundert angehörten', wenn gleich auch diese Annahme nur eine Vermutung ist.
Zum Schluss ein vergleichender Ueberblick über die beiden von mir untersuchten Burganlagen Schnellert und Beerfurter Schlösschen. Hier wie dort ist die südöstliche Seite die Angriffsfront: die entgegengesetzte gewährt den freien Ausblick auf das davorliegende Gersprenzthal. Auch die Anlagen selbst sind einander in manchen Stücken ähnlich, doch muss dabei beachtet werden, dass das Beerfurter Schlösschen sowohl nach den Berichten aus dem vorigen Jahrhundert wie nach dem Befund der Ausgrabungen eine ziemlich ausgedehnte, sorgfältig angelegte und ausgeführte Burg war. während der Schnellert nur eine untergeordnete Bedeutung gehabt haben kann, wenn sich auch die Sage in viel höherem Grad mit ihm beschäftigt als mit dem Beerfurter Schlösschen. Bei letzterem finden wir einen starken Turm als Mittelpunkt des Ganzen, während beim Schnellert dieser Teil der Anlage hart an die Umfassungsmauer herangerückt und nur von geringer Stärk«' war. Auch die Zwingermauern gleichen einander insofern, als sie der Oertlichkeit sicli anpassend in unregelmässiger Fluchtlinie den Berg umziehen. Nach alledem möchte es allerdings scheinen, als ob irgend ein Zusammenhang zwischen den beiden Burgen bestanden haben müsse. Aber Hacke und Spaten haben uns leider im Stich gelassen, und die einzige Hoffnung, die uns bleibt, kann sich nur auf die archivalische Forschung gründen. Was sich aus den Urkunden über Besitzverteilung und Gerichtsbarkeit in Beerfurt ergiebt, worauf hier nicht näher einzugehen ist. hat Dr. Frhr. Schenk zu Schweinsberg in den Quartalblättern 1876 Nr. 3 und 4 zusammengestellt. Höften wir. dass bald die so verwickelten Besitzund Gerichtsverhältnisse des inneren Odenwalds aufgeklärt werden: dann wird vielleicht auch ein erleuchtender Lichtstrahl auf Schnellert und Beerfurter Schlösschen und ihren dereinstigen Zusammenhang fallen.
Anmerkungen
- (Anthes 1895–1899): ↑ Zurück zu (
Anthes, E. Das Beerfurter Schlösschen. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde. Neue Folge. II. Band. 1. Heft. Darmstadt. 1895. S. 257–271.Weitere Details:
- Auch in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde. Neue Folge. 2. Band. Darmstadt. 1899. S. 257–271.
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- {H.1.a.01, Anthes_1895-1899}
- (QBl 1887): Zurück zu (
Nr. 1 S. 10-18
1887 - (Simon 17xx): Zurück zu (
Verein für … siehe auch Zeitungs.- usw. -Berichte.
1895 - (QBl 1876): Zurück zu (
Nr. 3 u. 4 S. 6.
1876